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Frauengehirne & Ernährung im Wechsel: Dr. Lisa Mosconi
Hallo Lisa, schön, dass du dir die Zeit für dieses Gespräch nimmst.
Du bist spezialisiert auf Ernährungs- und Neurowissenschaften und hast bereits drei Bücher veröffentlicht: Brain Food, The XX Brain und ganz neu The Menopause Brain. In Brain Food zeigst du eindrücklich, wie unsere Ernährung die Gesundheit unseres Gehirns beeinflusst. The XX Brain widmet sich speziell der weiblichen Gehirngesundheit, und in deinem neuesten Buch The Menopause Brain untersuchst du insbesondere das Phänomen „Brain Fog“ in den Wechseljahren.
Bio
Dr. Lisa Mosconi ist Neurowissenschaftlerin und Ernährungswissenschaftlerin. Sie leitet das „Women’s Brain Initiative“ am Weill Cornell Medical College in New York. Als Autorin der Bücher Brain Food und The XX Brain hat sie sich auf die Erforschung und Vermittlung der Zusammenhänge zwischen Ernährung, Hormonen und kognitiver Gesundheit spezialisiert. Ihr drittes Buch "The Menopause Brain" ist gerade neu erschienen. Mit ihrer interdisziplinären Expertise zeigt sie, wie ein gesunder Lebensstil insbesondere Frauen in einer hormonell herausfordernden Lebensphase unterstützen kann.
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Lisa, wie kam es eigentlich dazu, dass du dich so intensiv mit dem Thema „Gehirn und Ernährung“ auseinandersetzt? Und für wen ist das Konzept „Essen für ein gesundes Gehirn“ besonders wichtig?
L: Ich habe früh bemerkt, dass unser Denken und Fühlen stark von dem beeinflusst wird, was wir täglich essen. Das Gehirn ist extrem sensibel und braucht eine ganz bestimmte Mischung aus Nährstoffen. Wer sich dauerhaft von ungesunden Fetten und Zucker ernährt, riskiert nicht nur akute Konzentrations- und Stimmungstiefs, sondern auch langfristige Veränderungen der Gehirnstruktur.
Grundsätzlich ist das Thema für alle relevant, die mental leistungsfähig bleiben möchten. Eine ausgewogene, „gehirnfreundliche“ Ernährung kann Demenz vorbeugen, Gedächtnisproblemen entgegenwirken und Stimmungsschwankungen abfedern. Gerade Frauen in den Wechseljahren profitieren davon enorm, weil sich ihre kognitiven Fähigkeiten in dieser Phase oft spürbar verändern. Da hilft es, das Gehirn bestmöglich zu versorgen, damit jede Nervenzelle das bekommt, was sie tatsächlich braucht.
Du sagst, dass unser Gehirn andere Ernährungsbedürfnisse hat als der restliche Körper. Warum?
L: Das Gehirn ist unglaublich anspruchsvoll, wenn es um Nährstoffe geht. Es braucht andere Mengen und Arten von Vitaminen, Mineralstoffen und vor allem einen ausgeglichenen Glukosespiegel. Während wir oft nur darauf achten, genügend Proteine, Kohlenhydrate und Fette zu uns zu nehmen, vergessen wir, dass das Gehirn extrem empfindlich auf Schwankungen beim Wasserhaushalt reagiert. Schon ein leichter Flüssigkeitsmangel kann dazu führen, dass du dich müde und unkonzentriert fühlst. Außerdem sind bestimmte Mikronährstoffe – etwa B-Vitamine, Omega-3-Fettsäuren und Antioxidantien – essenziell für die Hirnleistung. Wer nur Kalorien zählt, übersieht leider oft genau diese feinen Details.
Was unterscheidet das XX Brain - also das Frauengehirn von dem von Männern?
L: Das XX Brain – also das weibliche Gehirn – unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom männlichen Gehirn, und das hat bedeutende Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Erstens spielen Hormone wie Östrogen eine zentrale Rolle. Östrogen ist nicht nur ein Fortpflanzungshormon, sondern auch ein mächtiges neuroprotektives Hormon, das das Gehirn schützt, die Durchblutung fördert und die Funktion der Synapsen unterstützt. Während der Wechseljahre verlieren Frauen diesen Schutz, was erklären könnte, warum Frauen ein doppelt so hohes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken.
Zweitens sind die Gehirne von Frauen strukturell und funktionell anders. Zum Beispiel weisen wir eine stärkere Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften auf, was uns oft besser im Multitasking macht und uns hilft, analytisches und intuitives Denken zu kombinieren.
Doch diese Unterschiede bedeuten auch, dass wir bei Stress und Krankheiten wie Depressionen oder neurodegenerativen Erkrankungen anders reagieren als Männer. Und genau das zeigt, warum es so wichtig ist, dass wir in der Forschung geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen. Viel zu lange wurden Frauen ignoriert, und das hat dazu geführt, dass wir in der Medizin oft Diagnosen und Behandlungen anwenden, die nicht optimal für uns sind.
Das XX Brain ist einzigartig, und es ist an der Zeit, dass wir ihm die Aufmerksamkeit schenken, die es verdient – für unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und unsere Zukunft.“ – Lisa Mosconi
Du bist eine Expertin auf dem Gebiet „Brain Fog“ und hast dich dabei besonders auf Frauen in den Wechseljahren konzentriert. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse deiner Forschung dazu?
L: Zunächst muss man verstehen, dass viele menopausale Symptome vom Gehirn gesteuert werden. Oft wird bei Therapien nur auf die Eierstöcke geschaut, doch insbesondere der sinkende Östrogenspiegel beeinflusst das Gehirn stark und kann typische Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen oder „Brain Fog“ auslösen. Tatsächlich ist diese Umstellung im Gehirn auf MRT-Aufnahmen sichtbar – ähnlich wie beim „Mommy Brain“, das manche Frauen während und nach einer Schwangerschaft erleben.
Studien zeigen, dass zwei von drei Alzheimer-Patientinnen Frauen sind. Welche Rolle spielen hier die Wechseljahre und das sinkende Östrogen?
L: Unsere Forschung weist darauf hin, dass der sinkende Östrogenspiegel das weibliche Gehirn besonders anfällig macht. Östrogen hat eine neuroprotektive Wirkung und unterstützt zahlreiche Prozesse, die für die Gesundheit unserer Gehirnzellen essenziell sind.
Frauen erleben nicht nur typische Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen oder Schlafstörungen, sondern auch deutliche Veränderungen im Gehirn. Das Zusammenspiel aus Hormonschwankungen und Alterungsprozessen kann den Stoffwechsel der Nervenzellen beeinträchtigen und die Anfälligkeit für Alzheimer erhöhen. In unseren Studien untersuchen wir deshalb ganz gezielt, wie wir diese hormonellen Veränderungen besser verstehen und wie wir präventiv oder therapeutisch darauf reagieren können, um das Risiko für Alzheimer zu senken.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Prävention und Therapie, gerade im Hinblick auf das erhöhte Alzheimer-Risiko?
L: Wir untersuchen gezielt, wie wir diese hormonellen Schwankungen besser verstehen und frühzeitig gegensteuern können. Mithilfe von PET-Scans haben wir beispielsweise festgestellt, dass der Östrogenrückgang eine wichtige neuroprotektive Funktion wegfallen lässt, was das Risiko für Alzheimer erhöht. Nun geht es darum, Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln – sei es durch Hormontherapien, gezielte Lebensstilmaßnahmen oder weitere therapeutische Ansätze, die auf die spezifische Situation von Frauen in den Wechseljahren zugeschnitten sind.
Das heißt, eine Hormonersatztherapie könnte das Gehirn schützen?
L: Ich möchte hier betonen, dass ich keine klinische Ärztin bin, sondern Wissenschaftlerin. Unsere Forschung zeigt, dass Östrogen im Gehirn eine neuroprotektive Funktion übernimmt. Wenn der Östrogenspiegel sinkt, steigt das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen. In diesem Zusammenhang kann eine HRT – sofern sie individuell angepasst ist – helfen, gewisse Veränderungen im Gehirn zu verlangsamen oder abzumildern.
Die Entscheidung für oder gegen eine HRT sollte jedoch stets ärztlich begleitet werden. Dabei müssen persönliche Risikofaktoren wie familiäre Vorbelastung oder bestehende Vorerkrankungen unbedingt berücksichtigt werden. Eine Therapie muss außerdem immer ganzheitlich gedacht werden: HRT ist keinesfalls eine alleinige Lösung, sondern ein Baustein in einem umfassenderen Konzept, das Ernährung, Lebensstil sowie mögliche andere hormonelle oder nicht-hormonelle Behandlungen einbezieht.
Auch die richtige Dosierung und der ideale Zeitpunkt für eine HRT spielen eine entscheidende Rolle. Studien weisen darauf hin, dass eine frühzeitige Therapie – etwa unmittelbar nach Beginn der Menopause – effektiver sein und weniger Risiken bergen kann als ein später Therapiebeginn.
Wie „füttern“ wir unser Gehirn am besten? Was ist deine wichtigste Empfehlung?
L: Ein gesundes Gleichgewicht ist entscheidend. Ich komme aus Italien und liebe gutes Essen – gerade die mediterrane Küche bietet unglaublich viel, was dem Gehirn guttut. Frisches Gemüse, Hülsenfrüchte, etwas Fisch, hochwertiges Olivenöl und Vollkornprodukte liefern eine optimale Mischung aus Vitaminen, Antioxidantien und gesunden Fetten. Wer außerdem auf ausreichendes Trinken und natürliche, abwechslungsreiche Lebensmittel achtet, schafft die beste Basis, damit unser Gehirn stets gut versorgt ist.
- Trinken, trinken, trinken: Unser Gehirn besteht zu einem großen Teil aus Wasser. Schon ein leichter Mangel kann Müdigkeit und Reizbarkeit auslösen.
- Glukose-Spikes vermeiden: Also nicht zu viele zuckerhaltige Lebensmittel auf einmal essen, sondern auf komplexe Kohlenhydrate, Ballaststoffe, gesunde Fette und Proteine setzen.
- Mediterrane Ernährung: Frauen in den Wechseljahren profitieren hier besonders, weil die Hormonumstellung auch die kognitiven Prozesse beeinflusst.
Du hast einen Selbsttest entwickelt. Wie funktioniert der?
L: Der Test enthält Fragen zu deinen Essgewohnheiten, deinem Lebensstil und möglichen Beschwerden. Anschließend bekommst du eine Einschätzung deiner Gehirngesundheit. Je nach Ergebnis empfehle ich dann Maßnahmen – zum Beispiel mehr Wasser trinken, mehr Omega-3-Fettsäuren oder eine komplett neue Mahlzeitenstruktur. Jeder Mensch ist anders, darum gehe ich in Brain Food auch gezielt auf individuelle Bedürfnisse ein.
Du erwähnst öfter, dass viele Ernährungsratschläge auf „Pseudowissenschaft“ beruhen. Welche Konzepte findest du kritisch?
L: Im Moment ist eine glutenfreie Ernährung sehr in Mode. Wer jedoch keine Zöliakie oder echte Glutenunverträglichkeit hat, muss nicht radikal auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten. Oft fehlen dann wichtige Ballaststoffe, B-Vitamine und Mineralstoffe.
Ein weiterer Punkt ist die Verteufelung von Kohlenhydraten. Unser Gehirn braucht sie dringend, allerdings sollten sie aus komplexen Quellen wie Vollkornprodukten, Obst oder Gemüse stammen, statt aus stark verarbeiteten, zuckerreichen Lebensmitteln.
Schließlich noch die Paleo-Diät: Sie wird häufig als Allheilmittel angepriesen, ist aber oft sehr einseitig und verzichtet auf ganze Lebensmittelgruppen. Das kann langfristig dem Gehirn schaden.
Was hältst du von Supplements und welche würdest du empfehlen?
L: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Nahrungsergänzungsmittel. Aber viele Menschen nehmen sie ohne einen konkreten Plan ein, ohne zu wissen, ob überhaupt ein Mangel vorliegt.
- Erstens: Eine fundierte Diagnostik (z. B. Blutwerte) und Beratung sind wichtig.
- Zweitens: Supplements sind kein Ersatz für eine gesunde Basis-Ernährung, sondern höchstens eine Ergänzung, wenn tatsächlich etwas fehlt.
Beispielsweise könnte Omega-3 bei Menschen, die kaum Fisch essen, sinnvoll sein. Bei Veganerinnen oder Vegetarierinnen ist oft Vitamin B12 ein Thema. Trotzdem bleiben eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Check-ups das A und O.
Was können Frauen im Wechsel konkret gegen Konzentrationsschwierigkeiten tun?
L: „Brain Fog“ entsteht häufig durch Stress, Schlafmangel und falsche Ernährung. Fehlen wichtige Nährstoffe wie Omega-3, Vitamin B12 oder Antioxidantien, kommt das Gehirn ins Straucheln. Wer dagegen ausreichend Flüssigkeit, eine gute Mischung aus Makro- und Mikronährstoffen und weniger stark verarbeitete Lebensmittel zu sich nimmt, kann schon viel bewirken. Das Gehirn reagiert in der Regel relativ schnell und positiv auf bessere Versorgung.
In meinem neuen Buch The Menopause Brain betrachte ich die Wechseljahre als eine Zeit des Umbruchs, aber auch als eine Chance, die weibliche Gehirngesundheit zu stärken und gängige Mythen zu entlarven.
Danke dir, Lisa, für diese spannenden Einblicke. Hast du zum Abschluss noch einen Rat für alle, die mehr für ihr Gehirn tun wollen?
L: Sehr gern. Mein wichtigster Rat ist: Schaut nicht nur auf Kalorien oder Trenddiäten, sondern darauf, was euer Gehirn wirklich braucht. Eine gesunde Ernährung tut nicht nur dem Herzen oder der Figur gut, sondern vor allem unserem Kopf – und damit unserer gesamten Lebensqualität.
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Falls du den TED-Talk von Dr. Mosconi sehen möchtest, findest du ihn hier: Dr. Mosconis Talk: How Menopause Affects the Brain (TED)
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